NEWS und INFOS 2014
THEMA: Hemiplegie / Schlaganfall
Die häufigste Erkrankung des Gehirns ist der Schlaganfall. Etwa 250.000 Deutsche trifft pro Jahr der Schlag. Er ist die dritthäufigste Todesursache in der westlichen Welt. Fast jeder 3. Deutsche erleidet einen Schlaganfall und jeder 6. stirbt daran. Es handelt sich dabei um eine akute Schädigung bzw. den völligen Untergang von Hirngewebe durch eine Störung der aretriellen Durchblutung. Dies kann durch eine Blutung aus einer Hirnarterie verursacht werden, in deren Folge es zu einer Kompression der Blutversorgung im umgebenden Gewebe kommt. Häufiger aber ist eine Einengung (z.B. durch Arteriosklerose) bzw. der Verschluß (z.B. durch ein Blutgerinsel aufgrund arteriosklerotischer Prozesse) einer Hirnarterie die Ursache eines Schlaganfalls.
Wer den Apoplex (Schlaganfall) überlebt, trägt sensomotorische und neuropsychologische Schäden davon. Von hundert Patienten kehren nur zehn in normales Leben zurück. 30 müssen mit leichten Beeinträchtigungen leben und weitere 40 behalten schwere Behinderungen.
Zehn von hundert bleiben pflegebedürftig. Wie stark der Schlaganfall die Patienten einschränkt, hängt davon ab, wie groß der Schaden im Gehirn ist - und von der Rehabilitation. Denn die richtige Therapie kann den Patienten viel an Lebensqualität zurückgeben und erhalten! (Zitat aus: Physiopraxis, April 2003, Thieme Verlag)
In der Akutphase kommt es meist zu einer schlaffen Lähmung, die später häufig in eine spastische Lähmung übergeht. Je nach Ausdehnung des Schlaganfalls können zusätzlich noch andere Ausfälle, wie z.B. Sprachstörungen bestehen.
"Im Trubel klinischer Praxis wird leicht die Tatsache aus den Augen verloren, dass jeder Patient einmalig ist, ein Mensch mit individuellen Wünschen, Erinnerungen, Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen, mit einer individuellen Art, sich zu bewegen, sich zu kleiden und sich zu unterhalten. Deshalb gibt es kein typisches Bild von Hemiplegie, das durch die Lähmung bestimmter Muskeln, durch die spastische Haltung von Armen oder Beinen und durch Sensibilitätsverlust gekennzeichnet ist, wie dies einige Lehrbücher immer noch darstellen. Und daher gibt es auch kein Patentrezept für die Behandlung aller Patienten gleichermaßen!"
Zitat aus: Patrica M.Davies / Hemiplegie / Springer Verlag 2002
1941 beobachtete Frau Dr.h.c. Bobath, daß ein hemiplegischer Patient bei bestimmten Bewegungen oder Stellungen spastischer wurde und bei anderen sich die Spastizität wiederum reduzierte. Diese Beobachtung war etwas Neues, denn das Wissen, daß Spastizität eine variable Größe ist, die durch Stellung oder Bewegung beeinflußbar ist, war damals überhaupt noch nicht vorhanden.
Aus dieser Entdeckung heraus entwickelte die Krankengymnastin Frau Bobath zusammen mit ihrem Mann, dem Arzt Dr. K. Bobath, ein empirisches Konzept, dessen zwei Säulen Beeinflussung des Tonus und Bahnung von Bewegung sind.
Das Bobath-Konzept beinhaltet keine Übungen, und es ist rein spekulativ. Der einzige Beweis für seine Richtigkeit ist seine Verbreitung, die Akzeptanz durch die Patienten und Therapeuten. Dr. K. Bobath sagt dazu: "Die einzige Antwort auf die Frage, ob das, was wir tun, das richtige für den Patienten ist, ist die Reaktion des Patienten auf das, was sie tun. Behandlung, wie Erziehung, wie Leben, ist eine konstante Interaktion. Das Wichtige ist, daß wir im Laufe der 40 Jahre absichtlich davon abgesehen haben, eine Methode zu schaffen. Wir nennen es heute ein Konzept, und wir lernen täglich."
(aus Zeitschrift für Gerontologie, 1987, Nr.20, S. 377 ff. H.P. Meier-Baumgartner, Albertinen-Haus Hamburg, Medizinisch-Geriatrische Klinik und Tagesklinik)
Das Zentralnervensystem (ZNS) besitzt ein komplexes neuronales Netz, und zwar mit sehr spezialisierten Zellen, die tausende von Verbindungen haben. Diese Zellen bestimmen Sensibilität, Wahrnehmung, Gefühle und motorische Aktivitäten, die in Verhalten umgewandelt werden. Nach einer Verletzung tritt eine Verwirrung dieses neuronalen Netzes auf, und das ZNS beginnt Prozesse von Umorganisation und Erneuerung.
Das heißt Neuroplastizität und bedeutet, dass das Nervensystem (NS) eine innere Fähigkeit besitzt, einige seiner morphologischen und chemischen Eigenschaften Umweltveränderungen anzupassen. Mit anderen Worten, sie ist die innere Fähigkeit der Nervenzellen, ihre Aktivitäten zu verändern und sich an eine veränderte Umgebung anzupassen. Die Analyse der plastischen Aspekte des ZNS erlaubt uns, diese mit anderen Faktoren in Verbindung zu setzen, da die Plastizität unter anderem von Umwelteinflüssen, vom emotionalen Zustand und dem kognitiven Niveau beeinflusst wird. Wir suchen immer nach neuen Perspektiven für die Rehabilitation der neurologischen Patienten. Deswegen ist es sinnvoll nach einer theoretischen Erklärung zu suchen, die eine Basis für klinische Anwendung bietet.
(Zitat: Fachmagazin Physiotherapie des IFK vom Januar 2004, Prof. Dr. Nelson Annunciato, N.F., Brasilien)
Hielt man noch vor 25 Jahren das Gehirn für unfähig, sich von Schäden zu erholen, weiß man heute um seine Plaztizität. Studien in den achtziger und neunziger Jahren zeigten, dass Synapsen sich ändern oder sogar neu bilden können, und sensorische Repräsentanzen im Gehirn sich durch periphere Stimulation oder nach Verletzungen reorganisieren. Bei Affen, denen man im primärmotorischen Kortex durch einen künstlichen Schlaganfall die Repräsentanz der Hand zerstört hatte, erreichte man Erstaunliches: Durch Training übernahmen gesunde Hirnareale die Funktion der zerstörten. Der Motorkortex reorganisierte sich in dem Maß, in dem die Affen die Fertigkeiten ihrer Hand wiedererlangten. (Zitat: Physiopraxis April 2003, Thieme Verlag, Beitrag: Faszination Wissenschaft: Neurologische Reha)
Wie also kann ein Hemiplegie-Patient optimal von einer Therapie profitieren?
"Die besten Erfolge erzielt man, wenn man Patienten zweimal zwanzig Minuten am Tag die gleiche umschriebene Bewegung 50- bis 60-mal wiederholen lässt. Dabei muss der Therapeut darauf auchten, dass die geübte Bewegung nicht zu komplex ist."
Stichwort: Repetitives Training
Das Stichwort in der neurologischen Rehabilitation heißt repetitives Training. Die Patienten lernen durch Üben nicht nur Gehen. Auch die Hand lässt sich trainieren. Da sie beinahe ausschließlich in der Hirnrinde repräsentiert ist und nicht wie beim Laufen reflexmotorische Bahnen über das Rückenmark an ihrer Motorik beteiligt sind, sollte man keine komplexen Bewegungen üben, sondern diese in Abschnitte teilen. Dass dies günstiger ist, hat eine Studie von Prof. Hummelsheim eindrucksvoll erwiesen: "Wir ließen Patienten wiederholt nach einem Gegenstand greifen, ihn nehmen, anheben, von einem Punkt des Tisches zu einem anderen transportieren, dort absetzen, loslassen und den Arm zurücknehmen", berichtet er. "Bisher glaubte ich, es würde sich lohnen, komplexe Alltagsbewegungen zu üben. Doch es war enttäuschend: Der Arm der Patienten besserte sich kein bisschen!" Mehr Erfolg verspricht, die Patienten den Gegenstand beispielsweise immer wieder anheben zu lassen. In zweimal zwanzig Minuten am Tag sollten die Patienten die gleiche umschriebene Bewegung 50- bis 60- mal wiederholen. "Klavierspielen lernt man auch nur, indem man denselben Lauf, dieselben Akkorde immer und immer wieder übt", betont Prof. Hummelsheim (Leiter des neurologischen Rehazentrums in Leipzig)
Die häufigsten Probleme im Überblick:
- Hypertonus
Empfängt der Patient aufgrund der feinen Veränderungen seiner Sensibilität von seinem Inneren keine adäquaten Körpersignale, dann versucht er zu steigern, was er empfindet. Er spannt beispielsweise seine Muskeln stärker an, ziemlich genau so, wie wir es tun würden, wenn wir auf einer schlüpfrigen oder instabilen Oberfläche zu gehen hätten. In seinem Fall zeigt sich das als Hypertonus. Beispiele:
Das Bein des flach im Bett liegenden Patienten weist einen deutlichen Hypertonus auf und kann von der Pflegenden nicht passiv gebeugt werden.
In aufrechten Positionen ist sein Arm flektiert
Immer wenn der Patient aus dem Gleichgewicht kommt krallt er seine Finger.
- Viel zu hohe Anstrengung bei einfachen Aktivitäten
Wird der Patient gebeten, eine relativ einfache Aktivität auszuführen, so strengt er sich dazu unangemesen an, spannt trotz der ruhigen gegenteiligen Anweisungen des/der Therapeut/in seine Muskeln an und hält den Atem an. Beispiel:
Die Therapeutin bittet den Patienten, sich gerade aufzusetzen, und er hebt sofort seinen Schultergürtel, streckt heftig den Nacken, stößt den Brustkorb nach vorne und atmet laut ein.
Selbst wenn er gebeten wird, einfach ruhig zu atmen, reagiert er mit forciertem Ein- und Ausatmen bei übertriebenen Bewegungen des Brustkorbs.
- Unfähigkeit, Aufgaben durchzuführen trotz rel. normaler Muskelaktivität
Der Patient hat vielleicht schon eine beachtliche Fähigkeit leichte Bewegungen durchzuführen zurückgewonnen, aber er kann diese Bewegungen immer noch nicht funktionell einsetzen. Oft wird ihm zum Vorwurf gemacht, dass er nur wenige Aufgaben selbst übernimmt.
Beispiel:
Der Patient sitzt und kann im Sitzen seine Knie und die Sprunggelenke ganz strecken. Der Arzt beklagt sich, der Patient gebe sich nicht genug Mühe, weil er immer noch nicht gehen könne.
Trotz wiederkehrender willkürlicher Aktivität in den betroffenen Extremitäten braucht der Patient Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen.
Zu Hause unternimmt der Patient nichts, um Partnerin oder Partner beim Kochen oder anderen Haushaltspflichten zu helfen, obwohl er den gelähmten Arm und die Hand auf Aufforderung hin bewegen kann.
aus Patricia. M.Davies, Hemiplegie 2.Auflage, Springer Verlag 2002